Amtsmissbrauch
Streit um Stützmauer: Gemeinde Walenstadt ignoriert seit Jahren Rechtssprechung – nun eröffnet St.Galler Regierung Disziplinarverfahren

Die Familie Ghaemmaghami aus Walenstadt kämpft seit Jahren vor Gericht gegen eine Stützmauer, die im Grenzbereich ihres Grundstücks erstellt wurde und von den bewilligten Plänen abwich. Mehrere Instanzen gaben ihr bereits recht. Doch die Gemeinde Walenstadt weigert sich, eine Anpassung an die Hand zu nehmen.

Aylin Erol
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Die widerrechtliche Stützmauer besteht aus grossen Steinen und einem darauf platzierten Zaun.

Die widerrechtliche Stützmauer besteht aus grossen Steinen und einem darauf platzierten Zaun.

Symbolbild: Getty

Eigentlich geht es nur um eine Mauer. Eine Stützmauer aus Stein, die vor 24 Jahren im Grenzbereich des Grundstücks der Familie Ghaemmaghami gebaut wurde. Heute steht die Mauer nach wie vor – und wird zum Politikum. Inzwischen untersucht die Staatsanwaltschaft den Fall auf Amtsmissbrauch, Urkundenfälschung im Amt sowie auf Urkundenunterdrückung.

Seit die Stützmauer 1998 erbaut wurde, wehrt sich die Familie vor Gericht. Vergeblich. Inzwischen haben sich sowohl das Baudepartement, das kantonale Verwaltungsgericht als auch das Bundesgericht mit dem Fall beschäftigt.

Alle kamen zum selben Schluss: «Die Höhenabweichung bis zu 1,70 Meter, die fehlende Rückversetzung des obersten Satzes Steine, der unbewilligte ein Meter hohe Zaun auf der Mauer sowie die Grenzverletzung von bis zu 40 Zentimeter können nicht als geringfügig bzw. unbedeutend qualifiziert werden», schreibt der «Blick», dem die Unterlagen vorliegen.

Mehrere Instanzen geben Familie recht

Die Gemeinde Walenstadt hat die Rechtsprechung bisher ignoriert, obwohl sie von allen Instanzen dazu angewiesen wurde, die Stützmauer anzupassen. Von der Gemeinde heisst es seither jedoch immer: Die Mauer könne bleiben wie sie sei. Oder: Sie müsse nur geringfügig angepasst werden. Und das, obwohl bereits 1998 die Gemeinde Walenstadt selbst bei einer Baukontrolle feststellte, dass die Mauer von den bewilligten Plänen abweicht.

2016 platzte der Familie Ghaemmaghami schliesslich der Kragen. Sie schaltete die Strafverfolgungsbehörden ein. Vier Jahre später, im Februar 2020, kam es vor dem Kreisgericht Werdenberg-Sarganserland zu einer Anklage gegen drei damals beteiligte Gemeinderatsmitglieder wegen Amtsmissbrauchs und gegen den ehemaligen Gemeindepräsidenten wegen Verletzung des Amtsgeheimnisses.

Unter den Angeklagten befindet sich auch ein heutiger SVP-Kantonsrat. Das Verfahren ist nach wie vor hängig, während zusätzlich ein zweites Verfahren gegen den aktuellen Gemeinderat in Gange ist. Es gilt die Unschuldsvermutung.

Gemeinderat Walenstadt will sich nicht äussern

Weshalb sich die Gemeinde Walenstadt seit Jahrzehnten gegen eine Anpassung der Mauer wehrt, ist unklar. Brisant an der Geschichte ist laut «Blick», dass die Tochter des amtierenden Gemeindepräsidenten im Unternehmen des Mauereigentümers arbeitet und die Mauereigentümerin als Fachrichterin bei der Verwaltungsrekurskommission des Kantons St.Gallen in der Abteilung Kindes- und Erwachsenenschutz tätig ist. Der aktuelle Gemeinderat verweist auf das Amtsgeheimnis und nahm gegenüber «Blick» zu den Vorwürfen nicht Stellung.

Die betroffene Familie kann das Vorgehen nicht nachvollziehen. Zu «Blick» sagt ein Familienmitglied:

«Es ist eigentlich eine ganz simple Sache. Die Gerichte haben klar festgestellt, was zu ändern wäre. Sie haben sogar eine Anleitung zur Korrektur erlassen. Nur die Gemeinde Walenstadt hält am rechtswidrigen Entscheid fest.»

Anstatt die Mauer anpassen zu lassen, reichte der Gemeinderat im April 2020 beim Departement des Innern des Kantons St.Gallen ein Gesuch ein, in dem er um eine Ersatzbehörde bat, welche die Mauerkorrektur anordnen soll. Der Grund: Man sehe sich nicht in der Lage, das Geschäft objektiv, unabhängig und unbefangen zu behandeln.

Auf Nachfrage schreibt das Departement des Inneren, dass das Amt für Gemeinden und Bürgerrecht «bislang keine Ersatzverwaltung finden konnte, die zur Übernahme des Verfahrens bereit wäre».

Inzwischen hat sich auch die St.Galler Regierung eingeschaltet. Im Oktober eröffnete sie ein Disziplinarverfahren gegen die Gemeinderatsmitglieder von Walenstadt. Doch warum dauerte es so lange, bis die Regierung dieses Verfahren eröffnete? Auf Anfrage heisst es: «Grundsätzlich kann über das hängige Disziplinarverfahren keine Auskunft gegeben werden.» Die Regierung verweist jedoch auf den Artikel 100 des Gemeindegesetzes, wonach der Auslöser für die Einleitung eines Disziplinarverfahrens in der Anzeige eines Dritten liegen kann.